Für viele Cineasten gibt es sicherlich die Unterscheidung zwischen »Realistischem Film« und »Phantastischem Film«, wobei sich trefflich darüber streiten läßt, welcher Film in welche Kategorie gehört. Dirty Harry würde vermutlich in die erste Kategorie gehören, Terminator mit großer Wahrscheinlichkeit in die zweite. Allerdings ist diese Trennung mehr als diskussionswürdig. Was genau ist der Unterschied zwischen einem »realistischen« und einem »phantastischen« Film? Wo ist die Trennlinie? Gibt es überhaupt einen realistischen Film? Hat der Film nicht seine eigenen Gesetze? Sind nicht alle Filme »phantastisch«? Oder anders gefragt: Ist ein Film »realistisch«, in dem Blitz und Donner im selben Augenblick seh- und hörbar sind? Oder ein Film, in dem der Held hinterm Steuer seines Wagens selbiges wild hin- und herdreht, selbst bei gerader Strecke? Oder ein Film, in dem der Held (wie Early, gespielt von Bratt Pitt in California) mit eindeutig falscher Schußhaltung seine Gegenüber reihenweise zerlöchert? Der Film hat seine eigenen Gesetze, trotzdem scheint es für viele etwas wie die angesprochene Unterscheidung zu geben, eine Grenze, die den »realistischen« vom »phantastischen« Film trennt (andere nennen die Unterscheidung »wahrscheinlich« - »möglich« : es ist möglich, daß Aliens die Erde angreifen, aber kaum wahrscheinlich, also ist Independence Day ein phantastischer Film; tatsächlich halten viele Amerikaner es für wahrscheinlich, daß Aliens über sie herfallen könnten. Für sie ist Independence Day sehr realistisch. Zum Glück haben die Amerikaner für derlei Fälle immer irgendeine Lösung parat). Die Grenze ist vermutlich die Glaubwürdigkeit. Die Glaubwürdigkeit spielt anscheinend bei der Kategorisierung eine große Rolle. Wenn John McClane (Bruce Willis) in Stirb langsam I von einem explodierenden Hochhausdach springt, nur gesichert an einem Wasserschlauch, und diesen unelastischen Bungee-Jump überlebt, staunt das Publikum, aber die Glaubwürdigkeit wird nicht in Frage gestellt. In keinem Moment des Films wird die Glaubwürdigkeit in Frage gestellt. Anders sieht es in Stirb langsam III aus. Dieser Film hat wenig mit dem ersten Teil zu tun, die Helden hetzen durch die Abenteuer wie Batman und Robin in Batman Forever, nur ohne Kostümierung. Das ist Hollywoods Drang zum Comic-Action. Würde dieser Film noch in die Kategorie »Realistischer Film« gehören? Nehmen wir ein anderes Beispiel: In dem Film Wild at Heart geht es durchaus glaubwürdig zu, d.h. realistisch. Bis auf eine Szene, in der Sailor (Nicolas Cage) angeschlagen auf der Straße liegt und ihm eine gute Fee erscheint. Sollte der Film in die erste oder doch besser in die zweite Kategorie aufgenommen werden? Wie realistisch ist ein Film, in der eine Fee auftaucht, wie phantastisch ist ein Film, in der in nur einer Szene nur eine Fee auftaucht? Der Maßstab Glaubwürdigkeit bereitet doch erhebliche Probleme bei der Einteilung von Filmen in die genannten Kategorien. Dazu sollte man noch anmerken, daß Glaubwürdigkeit keine Konstante, sondern eine Variable ist, die sich ständig ändert (wem wären vor fünfzig Jahren die Abenteuer der Apollo 13 - Crew glaubwürdig erschienen?). Glaubwürdigkeit ist eine äußerst subjektive Kategorie, die die Wirklichkeit immer nur des einzelnen zur Grundlage hat. Und welche Wirklichkeit sollte man zugrunde legen für die Glaubwürdigkeit eines Films? Die Wirklichkeit des Bundeskanzlers? Die eine objektive Wirklichkeit (die zweifellos(?) vorhanden ist, von der aber niemand sagen kann, was und wie sie ist)? Oder die subjektive Wirklichkeit des einzelnen Film-Rezensenten? Vielmehr lege ich die innere Wirklichkeit jedes einzelnen Films für eben diesen Film zugrunde. Wenn Calahan (Clint Eastwood) in den Dirty-Harry-Filmen seine Gegner mit großkalibriger Waffe und durchgestrecktem Arm niederschießt, ohne sich selbigen auszukugeln, dann gilt das für die Wirklichkeit, die dieser Film in sich trägt, selbst wenn in der »Realität« niemand dieses Kunststück vollbringen kann, ohne daß das Gelenk aus der Pfanne hüpft. Suspekt, und damit unlogisch wäre es, sollte Calahan nach neunundneunzig geglückten Schüssen nach dem hundertsten mit ausgerenkter Schulter auf der Straße liegen. Dann hat die innere Wirklichkeit versagt, bzw. sie funktioniert nicht. Es gilt also, äußere (die Wirklichkeit jedes einzelnen) und innere Wirklichkeit (die Wirklichkeit eines Films oder eines anderen Mediums, das eine Geschichte transportiert) zu trennen. Vergleiche zwischen diesen beiden Ebenen kann jeder anstellen und, wenn er es für notwendig erachtet, auch publizieren, nur sollte er bei Diskrepanzen nicht auf die Gelungenheit des Filmes schließen, weil dieser, nach Erachten des Rezensenten, die »Wirklichkeit« verfehlt hat. Ein Film ist ein Konstrukt. Selbst wenn er eine tatsächlich geschehene Geschichte transportiert, bleibt er ein Konstrukt. Wichtig ist, daß ein Film die Grenzen der inneren Wirklichkeit einhält, die er selbst absteckt. So wird in Stirb langsam I eine innere Wirklichkeit konstruiert, die der äußeren Wirklichkeit der meisten abendländischen Menschen gleicht, hier und dort ein wenig gedehnt. Ein fliegender Teppich, der John McClane vom explodierenden Hochhausdach rettet, wäre mehr als verwunderlich. Sieht man sich Stirb langsam III an, werden die gesetzten Grenzen aus dem ersten Teil vielfach weit überschritten. Macht man Aussagen über den Zustand der inneren Wirklichkeit eines Films, so macht man natürlich keine Angaben über Unterhaltungswert, Spannung etc. So mag Independence Day ein unterhaltender Film sein, relativ spannend sogar, aber es ist absurd, daß ein versoffener Kleinstpilot ein Alien-Schlachtschiff nach Ausschaltung der Schutzschirme im Handstreich zerstört, was ausgebildeten Air-Force-Piloten nicht gelungen ist. Hier funktioniert die innere Wirklichkeit nicht, ein deus bzw. ein deus ex machina muß das Happy-End retten. Äußerst fragwürdig. Ein anderer Film, Nach eigenen Regeln, behandelt seine innere Wirklichkeit sehr viel besser, nirgends etwas, das seiner Logik widerspricht (dafür ist der Unterhaltungswert sehr gering und die Spannung geht gegen Null). Festzuhalten ist, daß mit dem Kriterium innere Wirklichkeit eine doch objektive Beurteilung eines Films möglich ist, wenn auch nur in der Form stimmig oder nicht stimmig. Natürlich gehört einiges mehr dazu, einen sehenswerten Film zu machen. Qu L. () |
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