Herbert Winters dritter Roman ist erschienen. Das könnte kaum auffallen unter der jährlichen Flut von Neuerscheinungen. Aber Winter ist nicht irgendein Schriftsteller. Das hat er mit seinen ersten Büchern bewiesen. In seinem Erstling »Das Strafmaß ist voll«, einer bayrischen Juristensatire, kennt er keine Hemmungen, was juristische Arroganz, Unschärfe und Gleichgültigkeit angeht. Virtuos setzt er seine Winkeladvokaten in Szene und läßt gleichzeitig manche sprachliche Barriere hinter sich. Sein zweiter Roman »Am Mörder klebt noch Blut« treibt das allzuoft erprobte und dabei in tiefste Tiefen abgeglittene kriminalistische Spiel auf die Spitze, verwirrt die Ideologien von Täter, Jäger und Opfer (!) und wendet das Kriminal-Genre in sein Gegenteil, und das ganze in einem grandiosen Sprachspiel.

Herbert Winter: "Will wohlüberlegt sein!"

Nun liegt »Laß die Puppe tanzen« vor. Winter erzählt darin von einem Politiker (mit dem schönen Namen Bahl) in der heutigen BRD. Alfred Bahl ist ein Schauspieler, von einem streng geheimen Wirtschaftskonsortium dazu auserwählt, die Politik in dessem Sinne zu beeinflussen. Bahl macht in der Politik, mit Hilfe des Geldes des Geheimbundes, seinen Weg, wird Bürgermeister in einer Großstadt, Wirtschaftsminister des Landes, Landtagsvorsitzender »seiner« Partei, schließlich Ministerpräsident. Seine Konkurrenten, die ihm das politische Wirken schwer machen könnten, werden auf die seltsamsten Arten mundtot gemacht, dagegen wird sein Anhängerkreis inner- und außerhalb der Partei von Tag zu Tag größer. Bahl jedoch ist ein tumber Kerl, ein Nichtskönner, er glänzt weder durch raffinierte Einfälle, noch durch besondere Schlagfertigkeit, seine verqueren Sprechäußerungen werden zu belächelten Sprichwörtern. Sein Mittelmaß ist kaum noch zu berechnen. Aber dem Konsortium genügt er, und das aktive Wahlvolk (zumindest die Hälfe) verehrt ihn wie einen Götzen (Baal!). Und so wird Bahl, man ahnt es bereits, Bundeskanzler.
Winter versteht es, den Stoff nicht in eine dumpfe Polit-Posse abgleiten zu lassen, sondern ihn in der Schwebe zu halten zwischen tragikomischer Satire und spannendem Polit-Thriller. Der Sohn eines deutschen Architekten und einer tschechischen Schönheitskönigin, 1957 in Hamburg geboren, saß zwei Jahre im Hamburger Senat, bevor er 1989, kurz nach der Maueröffnung, in die da noch existierende DDR ging. Er beobachtete den untergehenden Staat, war zwei Wochen Berater (einer von vielen) von de Maizière, warnte vor einer allzu schnellen Vereinigung und wurde so seinen Job los. Darauf begann er Erzählungen zu schreiben, bevor er sich dem Roman widmete.
Zurück zu Bahl. Jetzt Bundeskanzler, erlebt er das Auf und Ab der Bundespolitik. Das Konsortium ist zufrieden mit seiner Marionette. Aber plötzlich beginnt Bahl zu rebellieren. Nach einer Fastenkur hat er eine quasi-religiöse Erscheinung, als ihm in den Innereien eines zerlegten Schweines ein überirdisches Wesen erscheint. Von Stund an hat Bahl das Bedürfnis, den Menschen, dessen Kanzler er immerhin ist, zu helfen, wirklich zu helfen. Er benutzt seine Machtposition dazu, ihm völlig ergebene Diener in strategisch wichtige Ämter zu hieven, um sich in einer live geschalteten Neujahrsansprache als ‘Kanzler des Glücks’ zu offenbaren, dem das Wohl aller Menschen am Herzen liegt. Nun entbrennt ein Machtkampf sondergleichen zwischen dem Kanzler mit seinem Kreis und dem Wirtschaftskonsortium, der nichts an Spannung und Komik zu wünschen übrig läßt. Das alles bringt Winter mit einer Sprachkunst vor die Augen des Lesers, die ihresgleichen sucht. Mit der des jungen Kafka ließe sie sich vergleichen, oder der des späten Hermann Burger.

Hermann Töws

Herbert Winter, »Laß die Puppe tanzen«, Undr Verlag, 38 DM.